Wintermädchen - Laurie Halse Anderson

Wintermädchen von Laurie Halse Anderson
Taschenbuch, Januar 2012
Originaltitel lautet Wintergirls
junge Erwachsene zeitgenössische & reale Geschichte
kaufte mein Exemplar



Klappentext

"Du bist nicht tot, aber auch nicht am leben. Du bist ein Wintermädchen..."

Sie starb im Gateway Motel, und ich bin schuld.
Nicht die Modezeitschriften oder das Internet oder die fiesen Lästermädchen im Umkleideraum oder die hormongeschädigten Jungs auf dem Pausenhof.
Nicht die Erfinder von Kleidergröße 0 und 00.
Nicht mal ihre Eltern.

Ich bin nicht ans Telefon gegangen.




Über die Autorin

Laurie Halse Anderson
New York Times-Bestseller-Autorin
geboren am 23. Oktober 1961
in Potsdam, New York
young adult, historische Romane & Bilderbücher für Kinder

Laurie Halse Anderson studierte Sprachen und Sprachwissenschaft und war eine erfolgreiche Journalistin, bevor sie beschloss, halbtags als Buchhändlerin zu arbeiten, um genügend Zeit für ihr literarisches Schreiben zu haben. Laurie Halse Anderson ist bekannt für Ihre äußerst sensible Antastung an kritische und schwierige Themen. Für Ihre Arbeiten/Werke hat sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren vier Kindern im nördlichen Teil des Staates New York und genießt es beim Schreiben den fallenden Schnee zu beobachten.



Meine Meinung

Wintermädchen ist mein erstes Buch von Laurie Halse Anderson. Ein Buch, welches ein schwieriges und sehr sensibles Thema beschreibt: Essstörungen. Mir sind einige Bücher in diesem Bereich geläufig, jedoch sind diese von Betroffenen selbst 'geschrieben'. Ich war mehr als gespannt, wie Laurie Halse Anderson ihre Geschichte erzählt, inwieweit sie in die Tiefe geht und ihre Leser, insbesondere mich, berühren kann.

Gleich zu Beginn erfährt Lia, dass ihre beste Freundin tot ist und für sie bricht eine Welt zusammen. Da die erste Seite bereits sehr ergreifend ist, möchte ich sie an dieser Stelle einfügen:

Und dann sagt sie es mir, Wörter und Cranberrymuffin krümeln aus ihrem Mund, die Kommas fallen ihr in den Kaffee.
     Sie teilt es mir in vier Sätzen mit. Nein, fünf.
    Ich will das nicht hören, aber es ist zu spät. Die Wahrheit pirscht sich heran und bohrt sich in mich hinein. Als sie zum Schlimmsten kommt,

... ihr lebloser Körper wurde im Zimmer eines Motels
aufgefunden, ganz allein ...

gehen bei mir sämtliche Rollläden herunter, ich mache dicht. Ich nicke nur noch, tue so, als ob ich hinhöre, als ob wir ein Gespräch miteinander führen - ein Unterschied, der ihr nie auffällt.

Es ist nicht schön, wenn ein Mädchen stirbt.

Für Lia und Cassie war alles in Ordnung, bis sie in der Silvesternacht einen heiligen Schwur leisten: Sie wollen alles dafür tun, die dünnsten Mädchen der Schule zu werden. Das Ganze entwickelt sich jedoch mehr und mehr zu einem Konkurrenzkampf zwischen den beiden besten Freundinnen. Lia ist sehr diszipliniert, sie hungert eisern. Cassie ist weniger konsequent, sie isst und kotzt anschließend alles wieder aus. Aus einem eher albernen Mädchen-Schwur wird jedoch rasch ein Alptraum, denn Cassie ist tot und Lia ist am Ende. Sie macht sich große Vorwürfe, wäre sie die Nacht doch nur an ihr scheiß Handy gegangen. Jetzt werden auch noch die Stimmen in Lias Kopf lauter und befehlen ihr noch strenger zu hungern als je zuvor. Ein ewiger Kreislauf der nie sein Ende zu finden scheint...

Laurie Halse Anderson schrieb diese Geschichte aufgrund von zahlreichen Leserzuschriften, in denen ihre Leser der Autorin über Probleme mit Essstörungen, Selbstverletzung und Verlassenheitsgefühlen berichteten. Der Mut und die Ehrlichkeit, die ihr ihre Leser entgegenbrachten, ebneten ihr den Weg um ihre Protagonistin Lia zu finden und ihre Gebrochenheit zu begreifen. Wintermädchen ist eine realistische Geschichte, wessen Hauptcharakter jedoch keine reale Person zum Vorbild hat. Allerdings ist dieses Buch realer als alles andere was ich bisher gelesen habe. Ein "literarisches Spiegelbild einer kranken Seele".

Die bewegendsten Momente in dem Buch sind wohl die Hintergründe, die Gründe warum Lia und Cassie anfangen sich selbst zu quälen, warum Lia sich auch zusätzlich selbst verletzt. Für Außenstehende fällt es schwer den Grund für Lias Selbstzerstörung zu erkennen oder auch nur zu erahnen, auch wer die Gründe kennt sieht sie eher als harmlos an. Die erschreckende Vielfalt von Trauer und Frust, die dazu führt, dass ein junger Mensch sich selbst so leiden lässt ist enorm groß. Und trotzdem konnte ich Lia verstehen. Eine Essstörung, ganz egal welche, ist ein Teufelskreis aus dem man ohne Hilfe nicht mehr alleine herauskommt. Ein Sumpf der einen ganz langsam aber stetig immer weiter runterzieht und nur selten einen 'Versinkenden' wieder frei lässt. Laurie Halse Andersons Worte, und somit logischer Weise auch Lias Gedanken, sind absolut brutal, stecken aber leider auch genauso voller Wahrheit.

Wintermädchen ist eines dieser machtvollen Bücher, das einen nicht mehr loslässt bis man es zu ende gelesen hat. Das unsichtbare Band wird von Seite zu Seite immer stärker und legt dem Leser ganz heimlich eine Schlinge um, welche sich immer enger zieht. Man ist schockiert, leidet und trauert gemeinsam mit Lia. Ich hatte das immer stärker werdende Gefühl ihr zu helfen, aber wie könnte man ihr wirklich helfen oder eine Hilfe sein?! Vor der gleichen ratlosen Frage stehen ihre Eltern. Das was bleibt ist die Hoffnung, Hoffnung darauf, dass alles irgendwie gut wird.


Cover

Das deutsche Cover hätte mich niemals auch nur dazu bekommen mir den Klappentext durch zu lesen. Was sich der Verlag bei diesem Cover gedacht hat, bleibt mir ein Rätsel. Ein grauer toter Hintergrund mit einem türkisen Schmetterling unten links im Bild. Bei genauerer Betrachtung erkennt man einen ausgestreckten Arm auf dessen Handfläche ein Schmetterling sitzt. Man könnte meinen, dass es sich hierbei um den Arm eines toten Mädchens handelt und der Schmetterling jeden Moment abhebt und davon fliegt. Die Haltung der Finger und natürlich auch die traurige Farbgebung würden dafür sprechen. An sich passt der Schmetterling zum Bereich der Magersucht zwar recht gut, schon allein wegen den Adjektiven, die einem bei "Schmetterling" in den Sinn kommen: frei, leicht und schwerelos. Und dennoch ist dieses Cover einfach nur trist und langweilig.

Zum Vergleich: Die ist das Cover der englischen Originalausgabe. Es ist einfach perfekt. Das Gesicht eines Mädchens oder jungen Frau hinter einer gefroren durchsichtigen Wand. Die Farben sind brillant, kleine schimmernde Pixel harmonieren wunderbar bei Lichteinfall mit der Eisfront und dem Inhalt des Buches. Sie verleihen eben dieser Front eine gewisse Realität. Ganz oben steht folgende Aussage "You're not dead, but you're not alive. You're a wintergirl...", dessen Worte dem Gesamten noch mehr Tiefe verleiht.

Die meisten werden mir wohl zustimmen, dass es für das deutsche Cover eigentlich Punktabzüge geben müsste, was ich jedoch ganz allgemein gesagt und in Anbetracht der schriftlichen Leistungen bei keinem Buch gerechtfertigt finde.



Schlusswort

Abschließend möchte ich sagen, dass dieses Buch in seiner Gesamtheit ein atemberaubend, aber dennoch brutales Buch ist, welches durch seine Poesie den Leser verzaubert. Wintermädchen ist mit Sicherheit keine einfach Lektüre, dafür ist das Themenspektrum in all seinem Umfang einfach zu komplex. Jedoch hat Laurie Halse Anderson diesem Themenspektrum dank ihrer sprachlichen Gestaltung eine Verständlichkeit verliehen, wie es kaum in Worte zu fassen ist.

Ich kann nicht sagen, dass es das "beste" Buch im Sinne von bester Unterhaltung ist, dafür ist das Thema rund um Wintermädchen einfach zu tragisch, aber ich kann behaupten, dass es das bewegendste Buch ist, was ich bisher gelesen habe. Und deshalb gebe ich 5 von 5 Punkten.





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